Gesundheitskosten: In erster Linie eine Frage der Menge

Veröffentlichungsdatum: November 2018

Die Kosten im Gesundheitswesen setzen sich, wie überall, zusammen aus dem Preis der konsumierten Leistungen und der Menge derselben. Betrachtet man die Entwicklung der Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) so stellt man allerdings fest, dass diese grossmehrheitlich auf die Mengenentwicklung bei den medizinischen Leistungen zurückzuführen ist. Die Preise bzw. Tarife pro medizinische Leistung spielen hingegen bei der Kostenentwicklung eine untergeordnete Rolle. Warum ist dem so und wie soll dieser Entwicklung begegnet werden?

Ausgangslage

Die Gesundheitsleistungen werden immer teurer – so die allgemeine Wahrnehmung -, schliesslich zahlt man jedes Jahr mehr Prämien. Doch schaut man genau hin, so sieht man, dass die Leistungen nicht viel teurer werden, sondern, dass mehr Leistungen konsumiert werden und die Kosten daher steigen. Denn die Kosten setzen sich, wie überall, aus Preis mal Menge zusammen.1

1 Die von den Krankenversicherern verursachten Verwaltungskosten machen dabei nur einen minimalen Anteil aus. Prozentual an den OKP-Kosten nimmt dieser Anteil stetig ab und belief sich bei der Groupe Mutuel 2017 auf 3,6% der OKP-Prämien.

Die Preise für Leistungen im Gesundheitsbereich sind von 1996 bis 2016 nicht stärker als der Landesindex für Konsumentenpreise (LIK) gestiegen, dies zeigt sich auch im Vergleich mit anderen Konsumgütern des täglichen Lebens.

Die Kostenentwicklung ist somit praktisch ausschliesslich auf die Mengenentwicklung bei den medizinischen Leistungen zurückzuführen.

Doch was sind die Gründe für diese Mengenausweitung?

Unbestrittenermassen sind der medizinische Fortschritt, der Wohlstand und die damit verbundene höhere Anspruchshaltung in der Bevölkerung wesentliche Kostentreiber. Weitere Faktoren sind das Angebot und der leichte Zugang an medizinischer Versorgung (Ärztedichte), die Bevölkerungsdichte oder die demografische Entwicklung. Der Bundesrat führt in seiner Antwort auf die Interpellation Lohr 16.3757 zur Problematik Folgendes aus:

«Die Mengenausweitung in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) ist teilweise bedingt durch die demografische Entwicklung, die einen überproportionalen Anstieg der Zahl der 70-Jährigen und der älteren Bevölkerung beinhaltet. Diese Gruppe nimmt vermehrt medizinische Leistungen in Anspruch. Zudem führt die medizinisch-technische Innovation zu neuen, vielmals besseren, aber oft auch teureren Behandlungen. Weiter kann ein Teil der Mengenausweitung auf eine Vergrösserung des Angebotes zurückgeführt werden, welches sich medizinisch nicht erklären lässt. Nicht zuletzt fördern auch Fehlanreize in den aktuellen Tarifstrukturen eine Mengenausweitung.» 2

2 https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20163757

Was soll dagegen unternommen werden?

Zur Dämpfung der Kostensteigerung in der OKP werden nun von verschiedener Seite Globalbudget- oder Kostenbremse-Modelle vorgeschlagen. Auch wenn es erfreulich ist, dass die Kostenentwicklung der OKP damit ins Zentrum der politischen Diskussion rückt, so müssten doch in erster Linie konkrete Massnahmen und nicht nur Zielvorgaben eingebracht werden. Denn nur mit konkreten Massnahmen, die alle Akteure in die Verantwortung nehmen, kann das Ziel der Kosteneindämmung in der OKP – ob es nun staatlich vorgeschrieben ist oder gar in der Verfassung steht – auch erreicht werden.

Massnahmen zur Mengenausdehnung, die bei den verschiedenen Akteuren konkret ansetzen, könnten wie folgt aussehen:

Verantwortung der Krankenversicherer:

  • Weitere Optimierung der Rechnungskontrolle (2016 waren hier bereits Einsparungen von 3 Milliarden Franken resp. 10% der OKP-Kosten möglich)
  • Verhandlung von Verträgen mit den Leistungserbringern mit Massnahmen zur Steuerung der Kosten, resp. Leistungsvolumen
  • Verbesserung der Tarifstruktur der medizinischen Leistungen durch die Verhandlung von Pauschalen im ambulanten Bereich und damit Beseitigung von Fehlanreizen eines Einzelleistungstarifes
  • Systematische Operationalisierung der WZWKriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit)

Verantwortung des Leistungserbringers:

  • Förderung der Qualität nicht nur auf der Strukturebene, sondern vor allem auf der Ebene der Indikations- und Ergebnisqualität (outcome)
  • Entschlackung des «Leistungskatalogs» durch Förderung von HTA Bewertungen
  • Erhöhung der Patientenkompetenz durch Förderung von «Smarter Medicine - Choosing Wisely»-Initiativen
  • Konsequente Zustellung der Rechnungskopien an die Patienten zur Kontrolle
  • Anpassungen der Tarifstrukturen durch die Einführung von Pauschalen
  • Verhandlung von Verträgen mit den Versicherern mit Massnahmen zur Steuerung der Kosten, resp. Leistungsvolumen
  • Erhöhung des internen und externen Druckes auf die «schwarzen Schafe», welche unnötige Leistungen durchführen und/oder zu viel abrechnen

Verantwortung der Versicherten/Patienten

  • Abklärung, ob eine Leistung wirklich notwendig und sinnvoll ist, z.B. durch die Einholung von Zweitmeinungen
  • Medizinische Selbstsorge soweit realisierbar, bevor ein Arzt aufgesucht wird
  • Mehr Eigenverantwortung durch Erhöhung der Franchise und des Selbstbehaltes
  • Massnahmen zur Vermeidung der Steigerung des Konsumverhaltens bei aufgebrauchter Franchise, z.B. mit mehrjähriger Bindung an die gewählte Franchise
  • Kopie der Rechnungen zur Steigerung des Kostenbewusstseins und zur Möglichkeit der Intervention bei allfälligen Fehlverrechnungen

Verantwortung der Kantone

  • Abbau der Interessenkonflikte verursacht durch die Mehrfachrolle der Kantone
  • Mehr regionale Koordination der Versorgung – weniger «Gärtli-Denken»
  • Kein Erhalt oder gar Ausbau unnötiger (stationärer) Strukturen zur Standortförderung


Verantwortung des Bundes und der Politik

  • Umsetzung der Rahmenbedingungen für Qualitätsverbesserung und HTA Bewertungen
  • Vertragsfreiheit einführen
  • Inkohärenzen abbauen
  • Beschwerderecht für Spital- und Pflegeheimlisten für Versicherer einführen
  • Einführung der gesetzlichen Grundlagen und Anreize, damit die oben aufgeführten Massnahmen umgesetzt werden können

Fazit

Die Kostenentwicklung der OKP, welche über die Prämiensteigerungen den Schweizer Mittelstand immer mehr belastet, ist fast vollständig auf die starke Zunahme der konsumierten Gesundheitsleistungen zurückzuführen. Um diese Fehlentwicklungen besser in den Griff zu bekommen, braucht es nicht in erster Linie ein staatliches Globalbudget oder eine Kostenbremse, sondern wirkungsvolle Massnahmen für mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung von allen Beteiligten. Es braucht die richtigen Anreize, damit alle Akteure ihren Beitrag zu einem nachhaltigen, solidarischen und finanzierbaren Gesundheitswesen leisten.

Groupe Mutuel

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