Einheitliche Finanzierung der ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen

Ausgangslage

Heute ist die Finanzierung der Gesundheitsleistungen unterschiedlich geregelt, je nachdem, ob es sich um eine stationäre oder eine ambulante Behandlung handelt. Die stationären Spitalkosten der allgemeinen Spitalabteilung tragen die Kantone (55%) und Krankenversicherer (45%) gemeinsam, während ambulante Leistungen vollumfänglich von den Krankenversicherern, respektive den Prämienzahlern, finanziert werden. Dieses System der «ungleichen» Finanzierung steht schon seit Jahren in der Kritik.

Worin liegen die Probleme?

1. Verzerrte Wahl der Behandlungsform: Die uneinheitliche Finanzierung behindert die Verschiebung der Behandlungen vom stationären in den ambulanten Bereich, so dass entsprechende Einsparungen nicht realisiert werden.1 Solange die Krankenversicherer aufgrund der unterschiedlichen Finanzierungsanteile weniger für die stationäre Behandlung zahlen, fordern sie die Verschiebung in den ambulanten Bereich nicht aktiv ein.2 

2. Kostenverlagerung: Die u.a. mit dem medizinisch-technischen Fortschritt verbundene Verschiebung vom stationären in den ambulanten Bereich führt zu einer stetigen Abnahme des steuerfinanzierten, kantonalen Kostenanteils. Ein schleichender Rückzug der Kantone aus der Finanzierung ist zu verhindern, da dies umgekehrt zur Mehrbelastung der Prämienzahler führt.

3. Die Kantone haben heute eine Mehrfachrolle als Regulator, Versorgungsplaner, Leistungserbringer und –finanzierer wie auch als Schiedsrichter bei einem Tarifstreit zwischen Spital und Versicherer inne. Daraus ergeben sich Interessenkonflikte, die Kostenfolgen zu Lasten der Prämienzahler haben.

4. Sektorübergreifende Optimierung des Versorgungsangebots ist erschwert: Im ambulanten Bereich haben die Kantone mangels Finanzierungsverantwortung nur begrenzt einen Anreiz, das Versorgungsangebot zu optimieren, so dass wichtige Einsparungen auf Systemebene nicht realisiert werden.

Stand der parlamentarischen Arbeiten

Aus diesen Gründen hat das Parlament schon in verschiedenen Vorstössen die Einführung oder Prüfung einer einheitlichen Finanzierung der ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen verlangt. Unter anderem hat Nationalrätin Ruth Humbel (CVP/AG) im Jahre 2009 zusammen mit 20 Mitunterzeichnenden aus allen bürgerlichen Fraktionen eine parlamentarische Initiative zur Einführung eines monistischen (also einheitlichen) Finanzierungssystems mit den Krankenversicherern als Monisten eingereicht (09.528). Der Anteil der öffentlichen Hand an der Finanzierung der grundversicherten Leistungen sei sicherzustellen und dem Kostenwachstum im Gesundheitswesen anzupassen. Die Kantone sollen dabei eine Kontrolle über die öffentlichen Mittel behalten können. Die beiden Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) haben dieser Initiative 2011 zugestimmt. Seither wurde deren Frist zweimal verlängert, zuletzt bis zur Wintersession 2017.
Zur Ausarbeitung eines Gesetzeserlasses wurde von der SGK-N eine Subkommission «Monismus» ins Leben gerufen. 2017 wird eine Gesetzesvorlage erwartet.

Konkrete Umsetzungsvarianten aus Sicht der Versicherer

Die Krankenversicherer befürworten eine einheitliche Finanzierung sämtlicher OKP-Leistungen. Dabei ist man sich in den meisten Fragen einig:

  • Die Rechnungsstellung der Leistungserbringer erfolgt an die Krankenversicherer als einheitliche Finanzierer.
  • Die bisherigen öffentlichen Gelder (kantonale Beiträge an die stationären Leistungen) sollen jedoch im System verbleiben und den Krankenversicherern entrichtet werden.

Schweizweit betrug der Kantonsbeitrag an den spitalstationären Ausgaben im Jahr 2014 rund 7,8 Mia. Franken. Einzig zur Frage, wie dieser steuerfinanzierte Anteil ins System eingespeist werden soll bzw. wie die öffentlichen Gelder unter den Versicherern verteilt werden, gibt es innerhalb der Branche verschiedene Modelle. Dabei stehen folgende zwei Varianten im Fokus:

Variante 1: Verteilung der Kantonsgelder an die Versicherer gemäss effektiv entstandenen Kosten (Kostenbeteiligung)
Konkret würden die Versicherer den Kantonen einen fixen Anteil (ca. 23%) der effektiven OKP-Kosten der Kantonseinwohner periodisch in Rechnung stellen (siehe auch Tabelle unten).
Die Leistungserbringer versenden weiterhin nur eine Rechnung an den Versicherer (tiers payant) oder an den Versicherten (tiers garant). Die Krankenversicherer fakturieren anschliessend dem Kanton seinen Anteil (ca. 23%) und geben diesen beim Tiers garant an den Versicherten weiter. Zur periodischen Rechnungsstellung übermitteln die Krankenversicherer den Kantonen eine detaillierte Aufstellung der zugrundeliegenden Rechnungen. Damit kann der Kanton seinerseits überprüfen, ob die Versicherten effektiv im Kanton wohnhaft waren und anspruchsberechtigt sind. Wünscht der Kanton zusätzliche Kostentransparenz, kann er eine Stichprobe an Rechnungen anfordern oder es können Revisionen angeordnet werden.

Variante 2: Verteilung der Kantonsgelder an die Versicherer via Risikoausgleich (Anteil der erwarteten Leistungskosten)
Die Versicherer würden von den einzelnen Kantonen einen fixen Anteil (ca. 23%) der Durchschnittskosten der jeweiligen Risikogruppe ihrer Versicherten über den Risikoausgleich erhalten.

Alternative: Dual-fixe Finanzierung aller OKP-Leistungen

Neben den oben genannten Varianten zur einheitlichen Finanzierung gibt es auch noch die Variante der dual-fixen Finanzierung über alle Leistungen. Das heisst, dass die Kantone für alle Leistungen einen vordefinierten Prozentsatz (ca. 23%) jeder Rechnung direkt begleichen. Dies entspricht der heutigen Finanzierung der spitalstationären Leistungen, würde aber nun auf alle OKP-Leistungen ausgedehnt. Diese Variante wird zum Teil von den Kantonen favorisiert, da sie sich davon eine grössere Kontrolle über ihre Gelder erhoffen. Gleichzeitig würde es jedoch sowohl für die Kantone, als auch für die Leistungserbringer (insbesondere die Ärzte und Apotheker), welche alle Rechnungen zweifach stellen müssten, einen administrativen Mehraufwand bedeuten.

Weiteres Modell: Einspeisung der Kantonsgelder über die Prämienverbilligung

In diesem Modell werden zwei Varianten diskutiert, einerseits die Einspeisung der Kantonsbeiträge als pauschaler Beitrag an alle Versicherten (Pro-Kopf-Beitrag), andererseits der Ausbau der einkommensabhängigen Prämienverbilligung. Bei beiden Modellen würde sich das heutige Volumen der Prämienverbilligungen von ca. 4 Milliarden Franken (Bund und Kantone) fast verdreifachen. Es ist davon auszugehen, dass der Bund in diesem Fall den Kantonen mehr Vorgaben über die Ausgestaltung der Prämienverbilligung machen und so die kantonale Freiheit einschränken würde.

Position der Groupe Mutuel

Wir begrüssen eine einheitliche Finanzierung sämtlicher OKP-Leistungen unter folgenden Bedingungen:

  • Die Rolle des einheitlichen Finanzierers kommt den Krankenversicherern zu. Das heisst, diese kontrollieren und zahlen die Rechnungen.
  • Die bisherigen öffentlichen Gelder müssen im System verbleiben. Ein Übergang zur reinen Prämienfinanzierung würde im Kopfprämiensystem zu einer starken Belastung privater Haushalte führen.
  • Die Einspeisung der Kantonsgelder darf nicht über die Prämienverbilligung erfolgen. Erstens würde sich dadurch im Vergleich zur heutigen Kostenbeteiligung der Kantone das finanzielle Risiko der Krankenversicherer erhöhen, wodurch die Unsicherheit bei der Prämienberechnung zunimmt und es zum Anstieg der Reserven- und Prämien kommen kann. Eine Einspeisung der Kantonsbeiträge als Pro-Kopf-Beiträge käme dem Giesskannenprinzip gleich. Hingegen würde eine einkommensabhängige Verteilung das heute mühsam austarierte System auf den Kopf stellen und zusätzlich zu Unsicherheiten bei den Versicherten führen, die zunächst eine auf den Gesamtkosten basierende, deutlich höhere Prämien von den Versicherern kommuniziert bekämen und ohne zu wissen, ob sie eine Prämienverbilligung erhalten werden und wie hoch diese ausfallen wird. Für alle, die nicht von Prämienverbilligungen profitieren könnten, würde es massive Prämienerhöhungen bedeuten, was schliesslich ein weiterer Schritt Richtung einkommensabhängiger Prämien wäre.
  • Der Beitragsanteil der Kantone muss auch in Zukunft im aktuellen Umfang erhalten bleiben und entsprechend der Kostenentwicklung proportional angehoben werden. So finden innerhalb eines Kantons keine Verschiebungen zwischen Prämien- und Steuerfinanzierung statt. Zudem werden die Kantone als Versorgungsplaner in die Verantwortung der Kostenentwicklung eingebunden.
  • Sollten die Kantone Steuerungs- und Kontrollinstrumente im ambulanten Bereich fordern, müssen diese massvoll eingeführt werden und dürfen nicht zu einer massiven Ausweitung staatlicher Planung und Steuerung führen.
  • Das finanzielle Risiko soll für die Versicherer möglichst konstant bleiben. Dies kann nur gewährleistet werden, wenn die Kantone den Versicherern einen festen Anteil der effektiven OKP-Kosten der Kantonseinwohner vergüten (Variante 1), was dem heutigen Prinzip der Kostenbeteiligung der Kantone entspricht.

Warum spricht sich die Groupe Mutuel bei der Verteilung der öffentlichen Gelder für
Variante 1 (Verteilung gemäss effektiven Kosten) aus?

  • Trotz Risikoausgleich tragen die Krankenversicherer substanzielle finanzielle Risiken z.B. aufgrund unerwarteter Kostensteigerungen oder aufgrund von Besonderheiten in ihrer Versichertenstruktur, welche auch in einem verfeinerten Risikoausgleich nicht vollständig ausgeglichen werden können. Eine Verteilung der Kantonsgelder gemäss effektiven Kosten, wie sie aktuell im Rahmen der dual-fixen Finanzierung bereits besteht und bei Variante 1 beibehalten würde, begrenzt bewusst das finanzielle Risiko der Krankenversicherer und trägt damit zu Prämienstabilität und fairen Wettbewerbsbedingungen bei.3
  • Eine Verteilung der Kantonsgelder über den Risikoausgleichsmechanismus lehnen wir ab, weil dadurch das finanzielle Risiko der Krankenversicherer gegenüber heute (wo die Kantone einen Anteil am effektiven Rechnungsbetrag zahlen) ansteigen würde. Eine Zunahme des finanziellen Risikos schafft Unsicherheit bei der Prämienberechnung und kann zu erhöhtem Reservebedarf und Prämienaufschlägen führen.
  • Berechnungen der Groupe Mutuel haben zudem ergeben, dass die vorgeschlagenen Modelle zur Einspeisung der Kantonsgelder über den Risikoausgleich einerseits zu Prämienerhöhungen bei Krankenversicherern mit schlechterer Risikostruktur führen und/oder es zu Verzerrungen bei den Prämien kommen kann. Dagegen kommt es bei Variante 1 gemäss unseren Berechnungen zu keinen derartigen Verzerrungen oder Prämienerhöhungen.
  • Variante 1 bringt mehr Stabilität und Kontinuität, da es grundsätzlich die Weiterführung des heutigen Systems, einfach mit nur einer Zahlstelle bedeutet. Die Risiken und die Finanzierungsverantwortung entsprechen dem heutigen System.
  • Mit dem prozentualen Beitrag pro OKP-Rechnung kann mit einer detaillierten Aufstellung der zugrundeliegenden Rechnungen vis-à-vis der Kantone die volle Kostentransparenz gewährleistet werden.
  • In den Rechnungen oder Abschlussrechnungen zuhanden der Patienten werden die Beiträge des Kantons separat ausgewiesen. Damit verfügen auch die Patienten über eine vollständige Kostentransparenz.
  • Die Kantonsbeiträge müssen nicht indexiert werden, weil sich der Prozentsatz im Gleichschritt mit der Kostenentwicklung sämtlicher so mitfinanzierten OKP-Bereiche bewegt. Eine komplexe Indexierung und allenfalls Anpassungen auf Gesetzes- oder Verordnungsebene wären nicht nötig.
  • Die Kantone müssen bei Variante 1 die Überversorgung im ambulanten Bereich finanziell direkt mittragen. Eine zu hohe Ärztedichte zum Beispiel würde sich direkt in höheren Aufwendungen der Kantone niederschlagen. Bei Variante 2 ginge dieser Sensibilisierungseffekt verloren.

Schlussfolgerungen

Die Groupe Mutuel unterstützt die Einführung einer einheitlichen Finanzierung. Diese gewinnt mit den steigenden Gesundheitskosten und den heute bestehenden falschen Anreizen zunehmend an Dringlichkeit. Dabei müssen die öffentlichen Gelder im System bleiben.

Eine Einspeisung der öffentlichen Gelder in das System über den Risikoausgleich (Variante 2) sowie über die Prämienverbilligung lehnt die Groupe Mutuel hingegen ab. Diese beiden Modelle würden zu mehr Risiken für die Versicherer, Unsicherheiten bei der Prämienberechnung und Wettbewerbsverzerrungen führen.
Die Groupe Mutuel setzt sich für eine Einspeisung der öffentlichen Gelder in das System anhand der effektiv entstanden Kosten (Variante 1) ein.
Als Alternative zu Variante 1 könnte sich die Groupe Mutuel auch eine dual-fixe Finanzierung über alle OKP-Leistungen vorstellen. Dies würde jedoch, wie oben geschildert, zu einem administrativen Mehraufwand für Leistungserbringer und Kantone führen.

1 PwC schätzt die Einsparmöglichkeiten durch die Verlagerung in den ambulanten Bereich bei 13 ausgewählten Indikationen auf jährlich 240 Millionen Franken (bis 2030).
Längerfristig sieht PwC ein Einsparpotenzial von 1 Mrd. pro Jahr (Finanzforum 2016).

2 Hinzu kommen auch Fehlanreize aufgrund von ungerechtfertigten Tarifunterschieden zwischen ambulantem und stationärem Bereich, welche einen stationären Aufenthalt aus Sicht des Spitals lukrativer machen können. Diese müssen zusätzlich angegangen werden, werden in diesem Papier jedoch nicht weiter vertieft.

3 Auch die Niederlande haben trotz bereits entwickeltem Risikoausgleich und während mehr als 10 Jahren das finanzielle Risiko der Krankenversicherer begrenzt, um zu verhindern, dass diese ein hohes Verlustrisiko über Prämienaufschläge absichern müssen und dass es zu unfairem Wettbewerb kommt.

Groupe Mutuel

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