Kostenziele als Allheilsbringer?

Veröffentlichungsdatum: 18.11.2020

Die steigenden Gesundheitskosten haben dazu geführt, dass verschiedentlich der Ruf nach einem Globalbudget, einem Kostenziel oder einer Kostenbremse laut wurde. Doch ist ein solches staatlich verordnetes, administrativ schwerfälliges und schwierig umzusetzendes Instrument das sinnvollste Mittel, um die bestehenden Fehlanreize der heute in der Schweiz vorhandenen Überversorgung anzugehen? Wären tarifpartnerschaftliche Lösungen und wettbewerbliche Ansätze, welche unser ansonsten gut funktionierendes Schweizer Gesundheitswesen nicht unnötig gefährden, nicht zielführender?

Ausgangslage

Seit seinem Inkrafttreten im Jahre 1996 wurde das Gesetz über die Krankenversicherung (KVG) bereits über 30 Mal teilrevidiert. Dabei wurden die Kompetenzen der Behörden und des Bundesrates laufend ausgebaut und die administrativen Hürden für Leistungsanbieter und Versicherer erhöht. Das Gesundheitssystem wurde träger, bürokratischer und teurer – aber qualitativ nicht besser. Der Ausbau der KVG-Regulierungen hat nicht dazu beigetragen, den Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern zu stärken. Die steigende Lebenserwartung und der zunehmende Angebotsausbau erfordern zukunftsgerichtete Modelle für die Schweizer Gesundheitspolitik und unser Gesundheitswesen.

Mit ihrem Programm liberale «Krankenversicherung2020» leistet die Groupe Mutuel ihren Beitrag. Sie legt dar, wie das Gesundheitswesen bzw. schwerpunktmässig das Krankenversicherungswesen beschaffen sein müsste und welche Reformen nötig sind, um bei optimaler Qualität zu fairem Preis bestmögliche Angebote für die Versicherten anbieten zu können.

Der regulierte Wettbewerb, in dem sich die Krankenversicherer heute bewegen, ist ein bewährtes System. Reformen, die den Wettbewerb und den Markt stärken, nicht aber den Staat unnötig ausbauen, könnten es verbessern. Die Tendenzen zu stärkerer Regulierung - nicht nur im Gesundheitsbereich - behindert und bremst Wirtschaft wie Unternehmen und bürdet ihnen zusätzliche Hürden auf. Ein freier Markt wird durch möglichst viel Selbstverantwortung geprägt. Diese gilt sowohl für Versicherer, Leistungserbringer wie auch für die Versicherten.

Liberale Vision der Groupe Mutuel

Folgende Grundsätze bilden die Vision der Groupe Mutuel für ein möglichst effizientes und liberales Gesundheitswesen bzw. Krankenversicherungswesen:

Rahmenbedingungen

Der Staat beschränkt sich auf die Definition der Rahmenbedingungen
Die Behörden sorgen für die Grundlagen des regulierten Marktes, indem sie entsprechende Rahmenbedingungen schaffen und diese laufend kontrollieren. Die Rolle des Staates beschränkt sich auf die Definition notwendiger und verhältnismässiger Rahmenbedingungen.

Die Rolle der Kantone ist geklärt
Die Rollenvielfalt der Kantone wird entflochten, denn sie schafft massive Interessenskonflikte und Probleme: Die Kantone besitzen, betreiben und finanzieren Spitäler, sind Arbeitgeber, Aufsichtsorgan und entscheiden bei Tarifstreitigkeiten. Das verunmöglicht eine faire Preisgestaltung, bläht die Kosten auf, führt Steuergelder in Subventionen ab und wirkt sich – da wettbewerbs- und innovationsbehindernd – für Versicherte und Unternehmen im Gesundheitswesen negativ aus.

Die Aufsicht ist verhältnismässig
Die Aufsicht über die Krankenversicherer obliegt dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Das BAG hat über die einheitliche Anwendung des KVG zu wachen, und es beaufsichtigt die finanzielle Situation der Krankenversicherer, um deren Solvenz und somit auch adäquaten Schutz der Kunden sicher zu stellen. Das neue Krankenversicherungs-Aufsichtsgesetz (KVAG), die bereits im KVG vorhandenen Kompetenzen und die heute gelieferten Daten reichen für eine adäquate Aufsicht aus.

Das Versicherungsprinzip ist gestärkt
Die von den Krankenversicherern erhobenen Prämien werden kostendeckend angesetzt. Dumpingangebote und Mischrechnungen innerhalb von Krankenversicherungen sind nicht zulässig. Es ist Aufgabe der Aufsicht, die Vorschrift kostendeckender Prämien durchzusetzen.

Der Risikoausgleich folgt klaren Kriterien
Die Weiterentwicklung des Risikoausgleichs erfolgt nach statistisch stabilen Kriterien. Jeder Anpassung muss eine ausgiebige Wirkungsanalyse vorausgehen. Die Umsetzung muss praktikabel und administrativ einfach einzuführen sein. Der Risikoausgleich darf nicht zur weitgehenden Angleichung der Prämien führen und so zum blossen Kostenausgleich verkommen. Das wäre wettbewerbslähmend und würde mittelfristig die Wahlfreiheit in einer Vielfalt von Kassen verhindern.

Finanzierung

Einheitliche Finanzierung aller OKP-Leistungen
Alle ambulanten und stationären Leistungen werden einheitlich finanziert mit den Krankenversicherern als Rechnungsstellern. Die kantonalen Gelder bleiben im System und werden anhand eines vorher definierten Prozentsatzes als Kostenbeteiligung rückwirkend periodisch den Versicherern überwiesen. Mit einer detaillierten Aufstellung der zugrundeliegenden Rechnungen erhalten die Kantone dabei die volle Kostentransparenz.

Franchisen werden kontinuierlich angepasst
Die ordentliche Franchise wird von heute CHF 300.– auf CHF 400.– oder CHF 500.– erhöht. Der Betrag, der seit mehr als 10 Jahren nicht mehr angepasst wurde, entwickelt sich analog den Kosten im Gesundheitswesen. Die hohen Franchisen von CHF 2’000.– oder CHF 2’500.– Franken werden beibehalten, weil diese weitgehend den jüngeren Generationen zugutekommen, welche ihrerseits bereits einen sehr grossen und zunehmend grösser werdenden Teil der Solidarität mitzutragen hat.

Versorgung

Leistungserbringer stehen im Wettbewerb
Leistungserbringer behaupten sich im freien Wettbewerb. Dies steigert die Qualität, eliminiert ineffiziente Angebote, wirkt kostendämpfend und innovationsfördernd. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass Qualität gemessen und bewertet wird – was das Angebot stetig verbessert. Die Qualitätskriterien werden dabei unter den Tarifpartnern festgelegt und gemessen.

Der ambulante Bereich wird auf der Grundlage von klaren Kriterien partnerschaftlich organisiert

Die Versorgungssicherheit wird mittels definierten Unter- und Obergrenzen gewährleistet. Bei Überversorgung haben die Kantone weiterhin die Möglichkeit, mittels verbessertem Zulassungsstopp eine weitere Erhöhung des Angebotes einzuschränken. Ausserdem schliessen Versicherer und Leistungserbringer bei Über- und Normalversorgung anhand klarer Kriterien Verträge auf Augenhöhe ab, was auf Preis und Qualität einen positiven Einfluss hat. Bei Unterversorgung bleibt der heutige Vertragszwang bestehen. Die Versorgungssicherheit wird damit zum entscheidenden Kriterium für die Organisation des ambulanten Bereiches.

Die Koordination unter den Leistungserbringern ist gewährleistet

Die Leistungserbringer im Schweizer Gesundheitswesen koordinieren sich besser. Sie entwickeln – ohne staatliche Einmischung – entsprechende Konzepte. Dadurch gibt es seltener Mehrfachuntersuchungen, unnötige Konsultationen und falsche Behandlungen. Die Effizienz und die Qualität steigen.

Die administrierten Preise sind abgeschafft
Preise für Medikamente, Laboranalysen, medizinische Hilfsmittel und Geräte werden mittelfristig nicht länger vom Staat administriert, sondern dem freien Wettbewerb ausgesetzt. Der Preiswettbewerb führt zu Kostensenkungen, was direkt dem Versicherten zugutekommt. Staatlich vorgeschriebene Preise verunmöglichen den nötigen preissenkenden Wettbewerb. Dies ist einer der Gründe dafür, warum die in der Schweiz heute geltenden administrierten Preise teilweise deutlich über den Preisen liegen, welche im Ausland bezahlt werden.

Krankenversicherungssystem

Die Schweiz hat ein freiheitliches Mehrkassensystem
Jeder Versicherte geniesst weiterhin Wahlfreiheit und kann für den Abschluss einer Krankenversicherung zwischen verschiedenen privaten Anbietern und Versicherungslösungen wählen - statt sich mit einer staatlichen Monopoleinrichtung begnügen zu müssen. Kantonale oder eidgenössische staatliche Kassen unterdrücken jeglichen Wettbewerb, beenden die Wahlfreiheit, mindern die Qualität, hemmen die Innovation, führen zu Rationierungen und kosten mehr.

Die Generationensolidarität wird nicht überstrapaziert

Die Generationensolidarität wird als wichtiger Pfeiler des schweizerischen Gesundheitssystems aufrechterhalten, jedoch in einem ausgewogenen Masse. Nur so wird die Akzeptanz des Systems bei den jüngeren Generationen, welche aufgrund der demographischen Entwicklung mit ihren Prämien mehr und mehr Kosten der betagten Menschen berappen, nicht überstrapaziert. Mit der Einführung von zwei zusätzlichen Altersklassen werden die Jugendlichen und junge Familien in einem gesunden Masse entlastet.

Stärkung der Eigenverantwortung

Besondere Versicherungsformen, wie alternative Modelle und Wahlfranchisen, stärken die Eigenverantwortung der Versicherten und ermöglichen es, in Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern an Qualität und Effizienz der erbrachten Leistungen zu arbeiten. So fördern besondere Versicherungsformen den Wettbewerb und tragen dazu bei, individuelle Versicherungslösungen zu schaffen. Die gewährten Rabatte entsprechen den effektiv realisierten Kosteneinsparungen. Die Rabatte müssen jedoch auch mit einer höheren Eigenverantwortung für die Versicherten verbunden sein. Um zu verhindern, dass Versicherte teilweise die Höhe der Franchise jährlich im Hinblick auf geplante Eingriffe optimieren, bleiben sie während drei Jahren an die von ihnen gewählte Wahlfranchise gebunden, können jedoch weiterhin jährlich den Versicherer wechseln. Neben den finanziellen Anreizen werden die Versicherten – wie auch die Leistungserbringer – auch durch Sensibilisierungs- und Informationskampagnen über unnötige oder gar kontraproduktive Leistungen informiert. Ganz nach dem Motto: Weniger ist manchmal mehr.

Schlussforgerungen

Rahmenbedingungen
Der Staat definiert die Rahmenbedingungen, die Rolle der Kantone ist geklärt und die Aufsicht ist verhältnismässig. Alle Beteiligten unterliegen einem gesunden Wettbewerb.

Finanzierung

Die Finanzierung ist über alle OKP-Leistungen einheitlich geregelt und die Franchisen der Kostenentwicklung angepasst.

Versorgung

Die Leistungserbringer stehen im Wettbewerb und koordinieren sich besser. Der ambulante Bereich wird auf der Grundlage von klaren Kriterien partnerschaftlich organisiert. Die Preise der Medikamente, Laboranalysen, medizinischen Hilfsmittel und Geräte unterstehen einem fairen Wettbewerb und werden nicht staatlich administriert.

Versicherungsvertrag

Jeder Versicherte kann seinen Krankenversicherer und seine Versicherungslösung weiterhin frei wählen und die Generationensolidarität wird nicht überstrapaziert. Die besonderen Versicherungsformen werden reformiert und stärken die Eigenverantwortung der Versicherten.

Groupe Mutuel

Rue des Cèdres 5 Case postale, 1919 Martigny    |    +41 0848.803.111