Zusammenfassung
Die saisonale Grippe stellt weltweit eine grosse Belastung für die öffentliche Gesundheit dar. Allein für die Schweiz haben Schätzungen ergeben, dass jedes Jahr bis zu 330'000 Arztbesuche und bis zu 5'000 Spitalaufenthalte auf die saisonale Grippe zurückzuführen sind. Um die durch Impfung vermeidbare Krankheitslast zu reduzieren, empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) allen Personen mit einem erhöhten Komplikationsrisiko, d. h. Personen über 65 Jahren und Patienten mit chronischen Erkrankungen, sowie ihren regelmässigen Kontaktpersonen eine jährliche Impfung. Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Durchimpfungsrate von 75 Prozent der gefährdeten Bevölkerung anstrebt, zeigen die im Auftrag des BAG durchgeführten Untersuchungen, dass die Durchimpfungsrate in der gefährdeten Bevölkerung lediglich bei 35 Prozent liegt. Die Erhebungen des BAG beruhen auf Selbstdeklaration der Befragten, wodurch eine Überschätzung der tatsächlichen Impfrate möglich ist.
Es braucht jedoch verlässlichere Daten über die Impfrate, um Interventionen zur Verbesserung der Durchimpfungsrate durchführen zu können. Im Rahmen dieser Studie sollen daher die Impfrate gegen Grippe und die mit der saisonalen Impfung verbundenen Faktoren bei den in Frage kommenden Personen analysiert werden. Ausserdem wird untersucht, ob die Pandemie und die anschliessende Impfung gegen Covid einen Einfluss auf die Impfrate gegen die Grippe hatten.
In einem ersten Artikel, der im Herbst 2023 in der Fachzeitschrift Influenza and Other Respiratory Viruses, publiziert wurde, analysierten Forscher des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Zürich die Durchimpfungsrate der Risikopopulation auf Grundlage von anonymisierten Versicherungsdaten der Groupe Mutuel. Insgesamt wurden 214'668 Risikopatienten (über 65 Jahre oder mit chronischen Erkrankungen) berücksichtigt. Die Analyse der Daten ergab, dass die Impfrate für die gesamte Risikopopulation lediglich 19 Prozent beträgt. Die höchste Impfrate (32 Prozent) wurde bei chronischen Patienten über 65 Jahren und die tiefste Rate (14 Prozent) bei chronischen Patienten unter 65 Jahren festgestellt. Zwei Faktoren begünstigen die Impfrate: eine hohe Anzahl von Besuchen beim Hausarzt und das Vorliegen einer chronischen Lungenerkrankung. Im Gegensatz dazu beeinflussen die Schweizer Staatsangehörigkeit und eine hohe Franchise die Impfrate nachteilig. Die Analyse hat natürlich ihre Grenzen: Impfungen am Arbeitsplatz (die vom Arbeitgeber bezahlt werden), in Apotheken (die direkt vom Patienten bezahlt werden) und von Versicherten, die ihre Rechnung nicht an die Versicherung geschickt haben (weil sie ihre Franchise noch nicht erreicht hatten), sind nicht erfasst, was zu einer Unterschätzung der Impfrate führen könnte. Die auf Grundlage der Versicherungsdaten geschätzte Impfrate (19 Prozent) liegt jedoch deutlich unter den Raten, die in den Erhebungen des BAG ausgewiesen werden. Diese Ergebnisse verdeutlichen, wie wichtig es ist, einerseits die Instrumente zur Überwachung der Durchimpfungsrate zu verbessern und andererseits die Grippeprävention zu verstärken.
In einem zweiten Artikel, der im Februar 2024 veröffentlicht wurde, untersuchten die Forscher die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Impfrate gegen Grippe. Sie vermuten, dass das durch Covid-19 erhöhte Impfbewusstsein mehr Personen, insbesondere Risikopatienten, dazu gebracht hätte, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Ihre Ergebnisse unterstützen diese Annahme teilweise: Es gab während der Pandemie tatsächlich einen Anstieg der Grippeimpfungsrate unter Risikopatienten. Aber nur eine Minderheit dieser Patienten hatte sich in diesem Zeitraum zum ersten Mal impfen lassen. Der wichtigste Faktor, der die Wahrscheinlichkeit einer Impfung begünstige, war, dass man bereits zuvor geimpft worden war. Daher ist es wichtig, dass Gesundheitsfachkräfte ihre Risikopatienten nach ihrer Impfvorgeschichte befragen, um die Impfung wirksamer empfehlen zu können.