Ajla Del Ponte läuft auf ihr Comeback zu
20. Februar 2023 | Kommentar(e) |
Gaëtan Theytaz
Nach einer Operation am Schienbein Ende letzten Jahres setzt Ajla Del Ponte ihre Rehabilitation fort. Ihr Ziel: ab März wieder mit ihrer Gruppe trainieren. Die Sprinterin aus dem Tessin nimmt ihre Verletzungspause gelassen. Sie bleibt sich selbst treu, sieht das Leben positiv und hat nur eins vor Augen: noch stärker zurückkommen. In unserem Interview spricht unsere Botschafterin über die Olympischen Spiele 2024 in Paris, die ehemalige Schweizer Leichtathletin Clélia Reuse, einen Titannagel und über eine Reise mit ihrer Grossmutter.
Groupe Mutuel: 2023 ist bereits angelaufen. Wie geht es dir aktuell?
Ajla Del Ponte: Mir geht es sehr gut. Die Rehabilitation verlangt mir zwar mit 13 Trainingseinheiten pro Woche einiges ab. Viel Wechseltraining, weil ich noch nicht alles zu 100 % machen kann. Aber mir gehts gut. Ich bin motiviert und freue mich über meine Fortschritte. Bei der Operation gelangten die Chirurgen über mein Knie zum Schienbein. Mittlerweile habe ich fast wieder die volle Beweglichkeit zurück und kann mein morgendliches Yoga machen. Das Schienbein schmerzt kaum noch. Das war auch Ziel des Eingriffs; nicht weiter permanent eingeschränkt zu sein. Ich bin gespannt auf das Feedback des Chirurgen.
Wie hast du die Verletzung am Schienbein bemerkt?
Die ersten Anzeichen traten Ende April 2022 auf. Da ich aber häufig Knochenhautentzündungen am Schienbein hatte, dachte ich, dass es, wie auch in der Vergangenheit, nur vorübergehende Beschwerden wären. Gegen Ende der Saison waren sie aber so hartnäckig, dass ich fast nicht mehr joggen konnte. Bei Kontrollen wurden dann mehrere Ermüdungsbrüche im Schienbein diagnostiziert. Ich hatte zwei Möglichkeiten: entweder die konservative Methode des Entlastens und Ruhigstellens oder ein chirurgischer Eingriff mit Spezialisten in den Niederlanden. Bevor ich meine Entscheidung traf, sprach ich mit Clélia Reuse, die sich die gleiche Verletzung zugezogen hatte. Sie hat mir zur Operation geraten, da die konservative Methode bei ihr nicht erfolgreich war. Der Austausch mit ihr und ihre Erfahrung haben mir sehr geholfen und so entschied ich mich schliesslich für die Operation.
Wie genau verlief der Eingriff?
Oft sind die Leute erstaunt, wenn ich es ihnen erkläre (lacht). Der Chirurg ist über das Knie zum Schienbeinkopf gelangt. Er hat den Knochen geöffnet und einen Titannagel eingesetzt, der über die ganze Länge vom Knie bis zum Knöchel reicht. Das ist möglich, weil unsere Knochen hohl sind und der Nagel einen Durchmesser von nur 8 Millimetern hat. Auf diese Weise wird ein möglicher Totalbruch verhindert, da der Nagel den Druck auf den Knochen abfängt und fragilere Stellen entlastet. Der Nagel wird bis zum Ende meiner Karriere im Schienbein bleiben.
Wie organisierst du deine Rehabilitation?
Anfang Jahr war ich im Tessin. Manchmal musste ich für ein fünfzehnminütiges Training eine Stunde mit dem Auto fahren, was nicht optimal war. Ich hab mich dann entschieden, die Reha in den Niederlanden fortzusetzen, wo alles unter einem Dach ist. Ein Physiotherapeut hält sich stets bereit und die Betreuung gestaltet sich einfacher. Wir sind eine kleine Gruppe von verletzten Sportlerinnen und Sportlern. Wir treffen uns jeden Tag und machen eine Stunde lang gemeinsam Übungen, aber auch aerobes oder anaerobes Training. Im März und April fliegt die Gruppe nach Südafrika und ich hoffe, auch mit dabei sein zu können.
Wagen wir einen Ausblick auf dieses Jahr. Was hast du geplant?
Derzeit plane ich Woche für Woche. Ich denke, dass ich nach der Hallenmeisterschaft im März wieder in der Gruppe trainieren kann. Wenn alles gut läuft, möchte ich in der zweiten Sommerhälfte erneut an Wettkämpfen teilnehmen. Deshalb war es auch so wichtig, den Eingriff jetzt durchzuführen, um für die Olympischen Spiele 2024 in Paris parat und fit zu sein. 2023 steht für mich ganz im Zeichen der Anpassung, mein Körper muss sich wieder an die Bahn gewöhnen.
So ein Rückschlag ist bestimmt nicht nur körperlich, sondern auch psychisch schwer zu verkraften?
2022 hat mir mein Körper Signale gesendet, die ich ignoriert habe. Mein Kopf wollte immer mehr, während mein Körper einfach nicht mehr konnte. Mir waren meine Ambitionen wichtiger als mein physisches Wohl. Zu Beginn war es nicht einfach, die Verletzung zu akzeptieren. Zwei Wochen nach der Diagnose war ich zu Hause und spürte eine Blockade im Rücken. Da wurde mir bewusst: «Mein Körper gibt mir zu verstehen, dass er nicht mehr kann. Wenn das so weitergeht, wars das mit dem Sport.» Dieser negative Gedanke hat zum Glück nicht lange angehalten. Es ist einfach viel zusammengekommen, ich war müde. Aber schlussendlich konnte ich dem Ganzen etwas Positives abgewinnen. Mein Umfeld, mein Sportpsychologe, alle haben mir geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. Ich hoffe, genau wie Clélia Reuse, in noch besserer Form auf die Bahn zurückzukehren. Ich konzentriere mich noch stärker auf die Regeneration, die Ernährung und mein morgendliches Yoga, was mir enorm hilft.
Dir war das Gleichgewicht zwischen Sport und Privatleben immer wichtig. Wie steht es heute damit?
Meine 75-jährige Grossmutter mütterlicherseits, die in den USA lebt, kommt uns Ende Februar besuchen. Ich fliege zu ihr, damit ich ihr auf dem Flug nach Europa Gesellschaft leisten kann. So ist es weniger stressig für sie und ein unvergesslicher Moment für uns beide. Unter normalen Umständen könnte ich das nicht tun. Wir haben uns seit fünf Jahren nicht mehr gesehen, und da wird mir dann schon bewusst, dass jede Situation auch etwas Gutes hat.