So nah und doch so fern!
24. April 2020 | Kommentar(e) |
Gilles Tornay
Seit Menschengedenken hat in Friedenszeiten nichts die Menschheit so stark eingeschränkt wie dieses Coronavirus. Auf der einen Seite können wir einige positive und sogar erfreuliche Aspekte für unsere Gesellschaft beobachten. Auf der anderen Seite gibt es aber auch tragische und schwierige Einzelschicksale, die es zu überwinden gilt. In einer Zeit, in der wir gerade erst damit beginnen, unsere gesellschaftlichen Gewohnheiten zu ändern, stellt sich bereits die Frage nach dem "Danach". Müssen wir vor der Zukunft Angst haben oder können wir uns auf unsere enorme Anpassungsfähigkeit verlassen?
Wir nähern uns einander an …
Über den Lockdown und Ideen, was man in dieser Zeit unternehmen könnte, wird im Internet sehr viel geschrieben. Auf allen Kanälen haben Tausende von Menschen damit begonnen, didaktische, pädagogische oder einfach nur Freizeitinhalte zu verfassen, um jeden zu unterstützen, der zu Hause festsitzt. Egal ob Sporttrainer, ein Cousin ersten Grades oder Ihre Versicherungsgesellschaft: Sie alle bieten Ihnen Unterstützung durch praktische oder kreative Inhalte, die Sie in Ihrer Freizeit konsumieren können. Diese verschiedenen Impulse der Solidarität sind herzerwärmend und haben uns einander näher gebracht.
So sind wir dem Nachbarn, dem wir im Treppenhaus aus dem Weg gingen, der Grossmutter, die wir nur einmal im Monat sahen, und dem Freund, zu dem wir immer "irgendwann einmal" sagten und den wir nie trafen, heute zum Teil näher gekommen; zumindest virtuell. Wir bieten unsere Hilfe an, führen Videoanrufe durch, organisieren Apéro-Skype... dadurch zeigen wir unsere enorme Anpassungsfähigkeit, worauf wir stolz sein können.
… und sind dennoch so fern
Natürlich gewöhnen wir uns an die neue Situation, natürlich geht es uns am Ende besser als erwartet, aber wir vermissen unsere sozialen Gewohnheiten immer noch schrecklich. Unser Kopf ist pragmatisch, aber unser Herz ist nicht immer mit dabei. Trotz aller – insbesondere digitalen – Hilfsmittel, die uns helfen, mit den aufmerksamen Nachbarn oder kreativen Freunden in Kontakt zu bleiben: Der physischer Kontakt, die Terrasse eines Cafés oder der Theatersaal fehlen auf grausame Weise. Wie der Psychiater Laurent Perron sagt: "Die Streichung von Bezugspunkten (während des Lockdowns) ist ein Verlust. Wir müssen auf die Schnelle unseren Alltag neu organisieren, was uns nicht leichtfällt".
Deshalb ist es wichtig, in sich zu gehen, anderen zuzuhören und zu akzeptieren, dass jeder auf seine eigene Weise mit seinen Emotionen umgeht. Dieser Lockdown ist nicht nichts, weshalb man die Konsequenzen ernst nehmen muss. Auf diese Weise geben wir uns selbst mehr Chancen, diesen Test ohne allzu viele Nachwirkungen zu bestehen.
Wie weiter?
Der Lockdown hat eine paradoxe Wirkung auf die Bevölkerung: Auf der einen Seite können wir eine Welle der Empathie und Solidarität in unseren Gesellschaften beobachten. Ein Zeichen der Menschlichkeit, das uns zusammenbringt und uns erlaubt, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auf der anderen Seite entsteht eine neue Angst "vor dem Anderen". Die Angst davor, angesteckt zu werden oder das Virus weiterzugeben. Wie werden wir uns also die Hände schütteln, uns umarmen, anstossen, uns um die Enkelkinder kümmern, Sitzungen organisieren usw.?
Viele Fragen zu den Konsequenzen sind noch ungeklärt; genauso wie auch die Details zum Hier und Heute. Eins ist aber klar: Bis heute hat die Menschheit eine immense Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit bewiesen. Wir können Vertrauen in uns selbst und in unsere Zukunft haben, wenn wir genau zuhören und uns darauf einigen, einige Konturen dessen neu zu zeichnen, was wir einst für unveränderlich hielten.