Alles rund um Schwangerschaft und Geburt

12. September 2023 | Kommentar(e) |

Livia Zimmermann

Rund um das Thema Schwangerschaft und Geburt gibt es weiterhin viele Tabus, Mythen und Behauptungen. Welche Vorbereitungen kann ich vor der Geburt treffen? Darf ich weiterhin Joggen gehen? Wie geht es mir nach der Geburt? Diese und weitere Fragen stellten wir der Oberärztin und Leiterin Geburtsstation des Inselspitals Bern, Frau Dr. med. Jarmila A. Zdanowicz. Sie ist Fachärztin Gynäkologie und Geburtshilfe.

Groupe Mutuel: Woran merkt frau, dass sie schwanger ist?

Frau Dr. med. Jarmila A. Zdanowicz: Es gibt sichere und unsichere Anzeichen einer Schwangerschaft. Zu den unsicheren gehören Übelkeit, Erbrechen, ausgeprägte Müdigkeit, Ziehen im Unterbauch, Brustspannen oder –ziehen. Einige Frauen bemerken auch einen vermehrten Ausfluss, der sich von dem vor der Mens unterscheidet.

Die Schwangerschaft kann offiziell aber erst mit einem Blut- oder Urintest nachgewiesen und bestätigt werden. Ausserdem wird bei der ersten Untersuchung ein Ultraschall der Gebärmutter gemacht, um einen Embryo mit Herzschlag nachzuweisen.

Was ist etwas, das einem nicht verraten wird, wenn es um das Thema Schwangerschaft und Geburt geht?

Es sollte eigentlich nichts verschweigen werden. Teils ist es aber schwierig, einen Kompromiss zu finden zwischen genug und zu viel Information, die man den Frauen mitgeben möchte, besonders in Bezug auf mögliche Komplikationen während der Schwangerschaft oder der Geburt. Ich möchte nicht alle Möglichkeiten durchgehen, die eventuell auftreten könnten: Frauen sollen die Schwangerschaft geniessen und diese Zeit nicht in einem andauernden Angstzustand verbringen.

Es gibt aber Themen, über die meiner Meinung nach zu wenig gesprochen wird, z.B. das Stillen. Falls das Stillen nicht funktioniert, leiden viele Frauen unter diesem «Versagen» und setzen sich selbst unter Druck. Ich möchte betonen, dass das Kind dadurch nicht unterversorgt ist oder die Frau eine schlechte Mutter wird oder ist.

Auch Blasenprobleme oder Inkontinenz ist ein weiteres Tabuthema. Frauen können nach der Geburt Probleme haben, den Urin zu halten. Das kann vergehen, aber auch bestehen. Daher ist Beckenbodentraining bereits in der Schwangerschaft wichtig. Es gibt auch Fachspezialisten der Uro-Gynäkologie, die sich damit befassen.

Ein falsches Bild wird ausserdem von Promis vermittelt, die damit werben, wie sie innerhalb von 3 Monaten ihren tollen Körper wiederbekommen haben. Der Körper hat 10 Monate gebraucht, um ein Kind auf die Welt zu bringen und daher sollte man dem Körper auch diese Zeit geben, um wieder zu regenerieren.

Über die Schmerzen wird ebenfalls wenig gesprochen. Wehen kann man sich nicht vorstellen, bis man sie erlebt und jeder empfindet Schmerz anders. Daher sollte man auch die Entscheidung ob Periduralanästhesie (PDA) oder keine PDA jeder Frau überlassen. Interessanterweise werden in der Westschweiz mehr PDAs gesetzt als in der Deutschschweiz.

«Das wichtige bei einer Schwangerschaft und Geburt ist, es gibt keine Norm. Es gibt kein richtig oder falsch.«

Ein paar Regeln für ein besseres Wohlbefinden

Wie kann frau sich auf die Geburt vorbereiten?

Es gibt Geburtsvorbereitungskurse, die man zirka ab der 28. Schwangerschaftswoche mit dem Partner besuchen kann. Dort wird die Geburt besprochen, was genau passiert, wie man mit den Schmerzen umgehen kann, man lernt Atemtechniken und so weiter. Dann gibt es auch individuelle Geburtsvorbereitungskurse, die man mit der Hebamme hat, die einen bereits während der Schwangerschaft betreut.

Ich finde, es macht Sinn so einen Kurs zu besuchen. Besonders beim ersten Kind erhält man wertvolle Informationen und es wird erklärt, wie eine Geburt abläuft. Wann muss ich ins Spital, wenn ich die Wehen bekomme? Welche Entspannungstechniken gibt es und welche Möglichkeiten gegen die Schmerzen? Man erfährt z.B. auch, dass bei der Geburt beim Pressen Blut, Flüssigkeit und Stuhl kommt, und das ganz normal ist.

Was sollte während der Schwangerschaft vermieden werden?

Das Wichtigste, das man vermeiden sollte, sind Alkohol und Rauchen – und natürlich alle Arten von Drogen. Auch bezüglich Koffeins sollte man achtsam sein. Ich denke eine bis zwei Tassen Milchkaffee pro Tag sind «ein kleines Übel».

Beim Essen auf gute Hygiene achten, sich vor dem Essen die Hände waschen und auch Gemüse gut waschen. Kein rohes Fleisch oder rohen Fisch essen, alles sollte gut durchgekocht sein. Auch beim Käse sollte man aufpassen und besonders Weichkäse meiden.

Lesen Sie weitere Tipps für die Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit.

Beim Tragen und Heben von schweren Lasten sollte man ebenfalls aufpassen. Umso grösser der Bauch bzw. umso weiter fortgeschritten die Schwangerschaft ist, desto weniger sollte frau tragen und heben.

Ich bin regelmässig joggen gegangen - Muss ich damit aufhören? Welche Sportarten darf ich noch ausüben?

Nein, eigentlich ist jede Art von Bewegung in der Schwangerschaft gut. Jedoch sind die Bänder während einer Schwangerschaft viel elastischer und man sollte Vorsicht walten lassen, da man leichter umknicken und sich verletzen kann. Später, wenn der Bauch grösser wird, muss man natürlich auch aufpassen, weil das eine Belastung für den Beckenboden ist.

Man sollte nicht unbedingt neue Sportarten anfangen.

Die beste Sportart ist Schwimmen. Auch dort gibt es Ausnahmen, wann man es nicht machen sollte. Bei einer unkomplizierten Schwangerschaft ist Schwimmen aber ein geeignetes Ganzkörpertraining.

Ansonsten sollte man Sportarten vermeiden, bei denen man potenziell auf den Bauch fallen kann. Ich tendiere zum gesunden Menschenverstand und dass die Frauen merken, was mit dem Bauch möglich ist und was nicht.

Ein paar Regeln für ein besseres Wohlbefinden

Wodurch entsteht der vermehrte Harndrang gegen Ende der Schwangerschaft?

Zum einen wird der Bauch grösser, die Gebärmutter wächst und alles drückt auf die Blase. Zum anderen ist dieser Harndrang auch hormonell bedingt. Die Frau hat mehr Progesteron im Körper, das sich auch auf die Blasenmuskulatur auswirkt und diesen entspannt. Schwangere haben auch eine vermehrte Durchblutung. Die Nieren werden besser durchblutet und dadurch wird mehr Urin produziert.

Muss jede Frau während der Schwangerschaft Stützstrümpfe tragen?

Nein, nicht unbedingt. Es kommt darauf an, ob sie viel stehen muss und welche Beschwerden sie hat. Ich empfehle Stützstrümpfe bei Wassereinlagerungen, Problemen mit dem Kreislauf, längeren Reisen oder wenn die Frau bei der Arbeit viel steht.

Wie kann ich meine Wünsche unter der Geburt äussern?

Die Geburt ist eine Zusammenarbeit zwischen der Frau, den Hebammen und ggf. Ärzten. Das Ziel ist, dass die Frau eine schöne und komplikationsarme Geburt hat und das Kind gesund auf die Welt kommt. Wir versuchen immer bestmöglich Rücksicht auf die Wünsche der Frau zu nehmen. Es kann aber z.B. auch sein, dass wir unerwartet einen Kaiserschnitt oder eine sogenannte Saugglockengeburt machen müssen.

Eine Geburt ist unvorhersehbar und die Frauen sollten sich darauf einstellen, dass es vielleicht nicht so abläuft, wie man es sich vorgestellt hat. Am besten ist, wenn man sich vorher Gedanken macht und dies mit dem Partner bespricht.

Immer wenn man sich nicht wohl fühlt oder etwas nicht versteht, sollte frau nachfragen.

«Ratschläge sind in der Regel gut gemeint, können aber verunsichern.»

Was ist nach der Geburt wichtig?

Wenn wir davon ausgehen, dass alles gut gegangen ist, ist das Wichtigste, dass man Freude hat und stolz ist. Man hat in den letzten 10 Monaten etwas unheimlich Tolles geleistet und für mich ist es immer noch jedes Mal ein fantastisches Wunder, wenn ein Kind auf die Welt kommt!

Unabhängig davon, wie die Schwangerschaft ausgegangen ist, muss sich Zeit nehmen, man ist müde, geschafft und muss sich erholen. Und man darf auch das Kind mal ein paar Stunden abgeben, damit man selbst schlafen kann – ohne schlechtes Gewissen. Man muss sich Zeit nehmen anzukommen und sollte sich diese Zeit auch geben.

 

Was erwartet mich bzgl. Menstruation nach der Geburt eines Kindes?

Meist ist die Menstruation nach der Geburt anders und die ersten Male etwas stärker. Normalerweise kommt die Regel 6-8 Wochen nach der Geburt wieder.

Viele Frauen haben jedoch noch keine Periode, wenn sie stillen. Dies ist aber nicht bei allen der Fall. Was wichtig ist, auch während dem Stillen soll man auf Verhütung achten, denn man kann trotzdem schwanger werden. Generell möchte man dem Körper die Zeit geben, sich zu erholen. Bei einer normalen Geburt sollte man in der Regel 6 Monate und bei einem Kaiserschnitt ein Jahr warten, bis man wieder schwanger wird.

«Viele Frauen werden in irgendwelche Vorstellungen gezwängt, die manchmal nicht der Realität entsprechen.»

Wie erkenne ich eine postpartale Depression?

Man muss zwischen dem Babyblues und einer Depression unterscheiden:

In den ersten Tagen leiden viele unter dem Babyblues. Dieser legt sich jedoch nach spätestens 1-2 Wochen wieder. Generell sind die Frauen dann emotional, haben viele Stimmungsschwankungen, weinen und sind ungeduldig. Das liegt an den Hormonumstellungen, an die sich der Körper erst gewöhnen muss.

Etwa 15 Prozent der Frauen leiden an einer postpartalen Depression. Diese dauert länger, über Wochen und Monate leidet man unter Schlaflosigkeit und Erschöpfung, hat keine Energie, keinen Appetit, starke Gewichtszu- oder abnahmen. Man macht sich ununterbrochen Sorgen, spürt eine Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, hat komische Gedanken über sich und das Kind. Das sind Warnzeichen und man sollte sich unbedingt Hilfe holen.

Auch Väter können an einer postpartalen Depression leiden. Viele schlafen ebenfalls nicht gut, machen sich Sorgen über alles Mögliche und spüren vielleicht auch den Druck als Alleinversorger für die Familie.

Viele Frauen haben das Gefühl nach einem Kaiserschnitt versagt zu haben, was sagen Sie ihnen?

Frauen wird viel unnötig ein schlechtes Gewissen gemacht. Manchmal wird einem von aussen das Gefühl gegeben, man muss um jeden Preis eine vaginale Geburt haben. Das stimmt jedoch nicht.

Manchmal gibt es einen medizinischen Grund für einen Kaiserschnitt. Generell ist die Rate an Kaiserschnitt-Geburten ist steigend. Das hängt mit vielen Faktoren zusammen: es gibt mehr ältere Frauen mit Vorerkrankungen, die schwanger werden oder Frauen, die vorher bereits eine Operation an der Gebärmutter hatten und daher einen Kaiserschnitt machen müssen. Es gibt auch Frauen, die bereits wenn sie schwanger werden wissen, dass sie einen Kaiserschnitt haben möchten. Das ist individuell.

Welche ist die schönste Geburt, die Sie miterleben durften?

Natürlich die Geburt meiner eigenen Kinder. Ich habe dort geboren, wo ich arbeite, weil ich wusste, dort bin ich in den besten Händen. Leider gab es auch bei mir Komplikationen. Jedoch sehe ich diese als Erfahrung an und kann nun sagen, ich weiss, wie es sich auf der «anderen Seite» anfühlt.

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