Komplexe Eingriffe erfordern viel Erfahrung

30. November 2020 | Kommentar(e) |

Serkan Isik

Mindestfallzahlen bei Operationen sichern die Qualität der Behandlungen. Eine Studie im Auftrag der Groupe Mutuel zeigt erstmals den Ist-Zustand bei der Umsetzung der Mindestfallzahlen in Schweizer Spitälern. Es besteht Handlungsbedarf: 2018 erreichten 46% der Spitäler die Mindestfallzahlen nicht.

Wer sich im Spital unters Messer legen muss, wird von Ungewissheit, Angst und Hoffnung begleitet. Es stellen sich viele Fragen wie: In welchem Spital soll ich mich operieren lassen? Welcher Arzt wird Hand an mir anlegen oder wie hoch sind die Chancen für eine vollständige Genesung?

Sich in dieser schwierigen Zeit die Qualitätskriterien für eine Operation vor Auge zu führen, stellt eine zusätzliche Herausforderung dar. Denn Qualitätskriterien für eine erfolgreiche Operation gibt es viele. Die Einhaltung von Mindestfallzahlen ist eines davon. Doch was genau ist damit gemeint?

Erfahrung und Routine als Gradmesser für Qualität und Sicherheit

Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung machen deutlich, dass bei häufiger ausgeführten Eingriffen Patientinnen und Patienten mit grösserer Routine behandelt werden und von weniger Komplikationen betroffen sind. So sind für eine gute Qualität bei bestimmten Operationen Mindestfallzahlen definiert worden. Mindestfallzahlen legen fest, wie oft in einem Spital ein Eingriff durchgeführt werden muss, damit eine gute Qualität gewährleistet ist. Halten die Operationsteams die vorgegeben Mindestfallzahlen ein, sammeln sie die notwendige Erfahrung und sichern die Qualität am Operationstisch. Die entscheidende Frage ist: Werden diese Mindestfallzahlen in der Schweiz auch eingehalten?

Die Ergebnisse

Die Studie im Auftrag der Groupe Mutuel stützt sich auf die Daten von H+ und liefert erstmals einen Überblick über diejenigen Spitäler, die komplexe Eingriffe durchführen, für welche Mindestfallzahlen festgelegt sind (Empfehlung der GDK). Sie analysiert, ob diese Schwellenwerte eingehalten werden. Dr. Daniel Zahnd, Autor der Studie, kommt zu folgendem Schluss:

  • 46% der untersuchten Spitäler erreichen die Mindestfallzahlen nicht.
     
  • 7% der Patienten wurden bei komplexen Eingriffen in Spitälern operiert, die die Mindestfallzahlen nicht erreichen. Dies entspricht 3202 Personen.
     
  • Detailanalyse für Eingriffe, die viele Patientinnen und Patienten betreffen:

    Hautkrebs
    Mit 43 von 62 erreichen die meisten Spitäler (69,4%) die empfohlene Mindestfallzahl nicht. Dies betrifft 128 von 1230 Patientinnen und Patienten (10,4%).

    Brustkrebs
    Die Mindestfallzahl wird nur von 30 von 83 Spitälern erreicht, d. h. 63.9% erreichen die empfohlene Mindestfallzahl nicht. 1675 von 7270 Patientinnen (23%) sind betroffen

    Wirbelsäulenchirurgie
    Ein Grossteil der Spitäler, nämlich 43 von 63, erreichen die Mindestfallzahl, d. h. 31.7 % erreichen die empfohlene Mindestfallzahl nicht. 75 von 2087 Patienten (3.6%) sind betroffen.
     
  • Die Studie zeigt den Ist-Zustand in der Schweiz. Für konkrete Massnahmen zu Verbesserung braucht es eine Folgestudie. Neben dem Behandlungsprozess müssen z. B. auch Sterblichkeit, Rehospitalisationsrate etc. gemessen werden.

Fazit

Diese Momentaufnahme macht deutlich, dass bei der Einhaltung der Mindestfallzahlen der Spitäler grosses Optimierungspotential besteht und die Spitalplanung überprüft werden soll. Dabei stehen die Kantone in der Pflicht. Denn sie verantworten die Spitalplanung in der Schweiz.

Mit Versorgungsforschung für Aufklärung sorgen

Die Groupe Mutuel setzt sich dafür ein, dass ihre Versicherten medizinisch optimal behandelt werden. Regelmässige Studien im Auftrag des nationalen Versicherers zeigen auf, wo in unserem Gesundheitssystem Verbesserungspotential besteht. Durch die Kommunikation der Studienergebnisse will sie insbesondere Patientinnen und Patienten aufklären und befähigen, kritische Fragen zu stellen. Es geht unter anderem darum, eine Fehlversorgung um jeden Preis zu vermeiden. Denn wenn eine Operation ohne Komplikationen verläuft und der Patient danach geheilt ist, profitieren alle davon.

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