Der Zugang zu neuen Medikamenten: eine tägliche Herausforderung
30. August 2022 | Kommentar(e) |
Miriam Gurtner
Im Gesundheitswesen ist es wie überall: alles ist eine Frage der Perspektive. Als Krankenversicherer ist es eine unserer Hauptaufgaben, uns im Interesse unserer Prämienzahler für tiefere Kosten einzusetzen. Gleichzeitig wollen wir unseren Versicherten als Patienten auch Leistungen mit hoher Qualität und einen möglichst raschen Zugang zu neuen Medikamenten mit hohem therapeutischem Nutzen ermöglichen. Zwischen diesen beiden Interessen eine Balance zu finden, ist für eine Krankenversicherung eine tägliche Herausforderung.
Die Finanzierung von Medikamenten ist grundsätzlich klar geregelt, indem das Bundesamt für Gesundheit (BAG) neue, von Swissmedic zugelassene Medikamente in die Spezialitätenliste (SL) aufnimmt und damit einen Preis festsetzt. In den letzten Jahren hat sich aus verschiedenen Gründen die Frist zwischen der Zulassung durch Swissmedic und der Aufnahme in die SL in vielen Fällen verzögert. In dieser Zeit können die Krankenversicherer diese Medikamente den Patienten nicht im ordentlichen Verfahren vergüten. Dies betrifft vor allem Medikamente für seltene Krankheiten (orphan drugs) und teure Gentherapien, bei welchen es teilweise um Beträge von mehreren 100'000 Franken geht.
Die «Schatten-SL»
Das heisst jedoch nicht, dass ein solches Medikament in dieser Zeit nicht doch von den Krankenversicherungen vergütet werden kann. Die Art. 71a–71d der Krankenversicherungsverordnung (KVV) ermöglichen eine Lösung. Krankenversicherer können in Ausnahmefällen entsprechende Medikamente erstatten. Diese ursprünglich sinnvolle und für Einzelfälle gedachte Regelung ist nun aber aus dem Ruder gelaufen und wird immer mehr zum Standard. Es entsteht eine «Schatten-SL».
Dieses Vorgehen fördert Intransparenz, bringt Unsicherheiten mit sich und bedeutet Zusatzaufwand für die Krankenversicherer . Daher wäre es im Interesse aller, dass das BAG entweder die Aufnahme in die SL beschleunigt oder aber eine neue Regelung für diese Übergangszeit prüft. Die sich zurzeit in Vernehmlassung befindende Anpassung der entsprechenden Verordnung beinhaltet zwar für die Versicherer interessante Ansätze, geht diesbezüglich jedoch zu wenig weit.
Nicht auf Kosten der Prämienzahler
Selbstverständlich darf die neue Regelung nicht auf Kosten der Prämienzahler geschehen. Sowohl das BAG, wie auch die Krankenversicherer, welche täglich mit den Pharma-Unternehmen verhandeln, sind gehalten, bei den Preisverhandlungen, wie auch bei der Prüfung neuer Vergütungsmodelle die Interessen der Prämienzahler zu verteidigen.